Gedichte, Krimis, Satiren und Geschichten

von Gunnar Schuberth

In der Nähe von Siena

Doch einmal, morgens um sechs, stand ich auf und schloss alle Fenster, und verklebte die Ritzen an der Tür und am Fensterrahmen und steckte mir Wachs in die Ohren.
Und der Schweiß lief mir über das Gesicht, über die Brust und den Rücken, und ich zitterte, aber ich musste etwas tun, um die Stimmen nicht mehr zu hören.

Der Schlaf des Schmetterlings

 

 

Angela Merkels geheimes Tagebuch

Der KompromissAngela Merkel

20.10.2017

Liebes Tagebuch, ich verstehe die Journalisten nicht. Da haben wir uns so einen schönen Kompromiss zur Obergrenze überlegt, Horst und ich, und dann gibt es wieder nur Einwände und Fragen. Statt dass man einmal schweigt und schreibt, dass einem vor Bewunderung die Worte fehlen.

Denn unser Kompromiss ist genial. Wo die Journalisten geglaubt haben, eine Obergrenze einzuführen und gleichzeitig nicht einzuführen, das geht nicht, da haben wir es einfach getan. Und haben ein Regelwerk gefunden, das leicht zu verstehen ist und unser Grundgesetz und unsere humanitären Werte nicht verrät.

Mit einfachen Worten gesagt, geht unser Kompromiss so: Wenn weniger als 200.000 Flüchtlinge kommen, dann haben wir die Obergrenze. Das ist das, was Horst will. Und wenn mehr kommen, dann müssen wir nur abstimmen und Anpassungen beschließen. Und dann passiert das, was ich immer wollte. Wir haben keine Obergrenze mehr.

Wie soll das funktionieren, haben viele gefragt. Doch schon in dieser Woche konnte ich den Kompromiss testen. Wir haben ihn nämlich ausprobiert, Peter Altmaier und ich.

„Ich muss aufhören mit diesen Schokoriegeln“, hat mir Peter Altmaier in der Bundestagskantine gesagt. „Es muss eine Obergrenze geben. Ich pass sonst nicht mehr in die Stühle von dem Bundestagssaal. Die Pfunde, die ich schon länger habe, und die Pfunde, die ohne Obergrenze neu hinzugekommen sind. Das sind einfach zu viele.“ Peter war verzweifelt. Aber wegen Grundgesetz und Humanität ging eine Obergrenze für Schokoriegel nicht. Ein idealer Fall für unseren Kompromiss.

Ich legte ihm dar, wie er eine Obergrenze für Schokoriegel einführen könne. „Aus humanitären Gründen und um zu verhindern, dass du nicht mehr in deinen Stuhl passt, ist das Ziel, dass die Gesamtzahl deiner täglichen Schokoriegel die Zahl von 3 nicht übersteigt. Wenn aber eine Notsituation gegeben ist, und du unbedingt einen vierten oder fünften Schokoriegel am Tag brauchst, dann kannst du eine Anpassung beschließen und noch mehr Schokoriegel essen.“

Peter dachte nach. „Ist das wirklich möglich?“, fragte er. „Eine Obergrenze für Schokoriegel, die konform mit dem Grundgesetz ist und die humanitären Werte nicht verletzt?“ Er wolle es versuchen, sagte er und holte sich einen Schokoriegel.

Als er dann zufrieden vor mir saß und seinen Schokoriegel aß, dachte ich, dass genau so gute Politik aussieht. Nach zähen Verhandlungen, nach Stunden, wo man schon aufgeben will, nach dem Ringen um die richtigen Worte kann am Ende ein Kompromiss stehen, der sich auf einmal als ein wegweisender Beschluss erweist. Der nicht nur auf die großen globalen Probleme wie Migration und Klimawandel eine Antwort weiß, sondern der sich auch bewährt als Weg, wie man die Bestuhlung des Bundestags vor der Überlastung durch schwergewichtige Politker schützt.

Als ich Peter nach drei Tagen wiedersah, hörte er gar nicht mehr auf, von dem Kompromiss zu schwärmen. „Man hat eine Obergrenze, man hat aber auch keine, und man hat vor allem ein so gutes Gefühl wegen Grundgesetz und Humanität.“ Er verspeiste seinen fünften Schokoriegel und ich wusste, dass wir mit unserem Kompromiss ein großes Werk geschaffen hatten.

23.10.17

Gestern kam eine Rundmail. Die Bundestagsverwaltung plant, neue Stühle mit breiteren Sitzflächen für den Bundestag anzuschaffen, da einige Politiker nicht mehr auf die Stühle passen.

Und vorhin kam eine sehr beunruhigende Nachricht. Peter hatte kurzfristig einen Zuckerschock, weil er so viele Schokoriegel gegessen hat. Ich hoffe, es geht ihm schon besser.