Gedichte, Krimis, Satiren und Geschichten

von Gunnar Schuberth

In der Nähe von Siena

Doch einmal, morgens um sechs, stand ich auf und schloss alle Fenster, und verklebte die Ritzen an der Tür und am Fensterrahmen und steckte mir Wachs in die Ohren.
Und der Schweiß lief mir über das Gesicht, über die Brust und den Rücken, und ich zitterte, aber ich musste etwas tun, um die Stimmen nicht mehr zu hören.

Der Schlaf des Schmetterlings

 

 

Fake News - knapp an der Wahrheit vorbei

Godot endlich aufgetaucht!

Zu einem bemerkenswerten Zwischenfall kam es vergangenen Samstag bei einer Aufführung von 'Warten auf Godot' im Theaterclub Mülbeck. In dem seit vielen Jahren an verschiedenen Bühnen gespielten Theaterstück, in dem zwei Landstreicher vergeblich auf den angekündigten Godot warten, tauchte Godot plötzlich auf.

Die Darsteller der Landstreicher Estragon und Wladimir waren so überrascht, dass sie das Stück abbrachen und eine spontane Party mit Godot feierten.

Was das Erscheinen von Godot für die bisherige Interpretation des Stücks bedeutet, wird in den sozialen Medien heftig diskutiert. Die gesamte Sekundärliteratur zu dem Stück müsse nach diesem Vorfall umgeschrieben werden, so meldeten sich bedeutende Theaterkritiker zu Wort.

Einem Reporter unseres Blatts gelang es, mit dem lange vermissten Godot zu sprechen. „Ich hatte keine Ahnung, dass man schon so lange auf mich wartet“, erklärte er. „Sonst wäre ich schon viel eher zurückgekommen“. Bei der Uraufführung sei er nur schnell aus der Vorstellung gegangen, um ein paar Zigaretten zu holen. Und diese Reise habe ihn bis nach Afrika geführt.

Bei dem Gespräch konnte auch endlich geklärt werden, was der geheimnisvolle Name Godot bedeutet. Da gebe es gar kein Geheimnis, erklärte Godot. Sein voller Name sei Gottfried Dotter und Schauspielerkollegen hätten diesen Namen verkürzt und ihm den Spitznamen Godot gegeben.

Die drastischen Konsequenzen, die das überraschende Auftauchen von Godot haben könnte, ist vielen Theaterliebhabern noch gar nicht bewusst. Literaturexperten fürchten, dass das berühmte Stück jetzt nicht mehr gespielt werden könne, da das Warten auf Godot zu Ende sei.

Nach der anfänglichen Freude über das Auftauchen von Godot ist auch bei seinen Schauspielerkollegen Ernüchterung eingekehrt. „Eigentlich ist das ne üble Nummer“, sagte der den Landstreicher Estragon verkörpernde Schauspieler Balthasar Schmidt. „Da wartet man zig Vorstellungen auf den Typ, denkt was das für einer sei, ein Messias oder ein Gott, und dann ist das einfach so ein Typ mit Namen Gottfried Dotter.“

Der Theaterclub Mülbeck hat schon reagiert und sämtliche geplanten Vorstellungen von „Warten auf Godot“ gestrichen. Als Ersatz ist eine Eigenproduktion geplant: „Nie mehr Godot.“